In Thailand erlebt man alles (233)

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Posted in Lebe in Thailand, Lesereinreichung
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21 April 2022

(Daniel Bond / Shutterstock.com)

In der Reihe von Geschichten, die wir über etwas Besonderes, Lustiges, Kurioses, Bewegendes, Seltsames oder Gewöhnliches veröffentlichen, das Leser in Thailand heute erlebt haben: „Kulturschock Isaan“ 


„Kulturschock Isaan“

Ich hatte Ing bisher nur einmal gesehen. Bei einem Besuch bei einer Tante meiner Frau Oy, die etwas weiter weg wohnt.
Ing, weit über neunzig und dünn wie ein KZ-Überlebender, warf gereizt ein paar lästige Freilandhühner von seiner Bambusstange.

Sein späteres Sterbebett. Denn was ich damals noch nicht wusste, war, dass Ing am Rande des Grabes schwankte. Oder in seinem Fall an der Schwelle des dieselbetriebenen Krematoriums hier vor Ort.
Er war Tantchens Vater und ich wusste nicht, was er in den neunzig Jahren zuvor gemacht hatte. Abgesehen davon, dass ich Reisbauer bin, wenig Geld habe und viele thailändische Nachkommen großziehe.

Ich hätte ihn fast vermisst. Seine Eintrittskarte ins Jenseits war bereits vom Großen Dirigenten abgestempelt worden, und das Einzige, was ihn hier hielt, war sein robuster, knochiger Körper, der sich weigerte, seine Abreisezeiten einzuhalten.

TRAURIGE SZENEN

Wochen später sah ich ihn bei einem Folgebesuch bei besagter Tante wieder. Und wurde dann freundlicherweise eingeladen, neben ihm auf den klapprigen Bambus-Brits Platz zu nehmen.
Umgeben von einem rasselnden japanischen Fan, der wie er selbst schon bessere Tage gesehen hatte, und einem Vorrat an Pampers, den das örtliche Krankenhaus gegeben hatte. Der Hinweis, einfach zu Hause günstig zu sterben, lag in diesem Moment genauso stark in der Luft wie seine spätere himmlische Reise aus dem Ofen.
Ich beobachtete die traurige Szene mit wachsender Bestürzung.

Die schlichte, fleckige Mickey-Mouse-Kinderdecke, unter der er lag, die alte, ramponierte Eisbox, aus der seine älteste Tochter gelegentlich Eiswasser schöpfte und sich die Lippen befeuchtete, und der graue Betonblockbunker, der mit rostigem Wellblech bedeckt war, etwas weiter entfernt. Es stellte sich heraus, dass es sein Zuhause war.
Niederländische Werkstätten würden abgelehnt, wenn sie in diesem Zustand vorgefunden würden.
Der „Deathbed Isan“-Stil löste bei mir einen Kulturschock aus, den ich in diesem Land nie wieder erlebt hätte.

Stotternde Mopeds mit Jugendlichen, die ihre Musikvorlieben lautstark per Handy verkünden, ein Hahn, der minutenlang heiser kräht, ein Nachbar, der ein Stück weiter einen Haufen trockenes Laub verbrennt, der rauchige Rauch, der dann alles in Nebel hüllt, und neugierige Hühner, die mit ihren sinnlosen Blicken auf der Suche nach Futter über das Feldbett schweifen.

Ein Mädchen kommt mit dem Fahrrad ihrer Kinder und parkt das Dreirad direkt neben uns. Um dann auch noch auf den Sitz zu klettern und neben dem sterbenden Opa eine Packung Sojamilch durch einen Strohhalm zu schlürfen.
Die Nachbarin, eine Friedfischfrau mit Brombeerstimme, hängt aus dem Fenster und fragt aus der Ferne, wie es dem Kranken geht. Als ob eine wundersame Heilung stattfinden würde, wenn sie nicht hinschaute.

Ich schwitze in der unerbittlichen Hitze stark und fühle mich äußerst unwohl. Und verfluche meine dumme Idee, hier noch einmal vorbeizukommen.
Dies ist nicht das exotische Thailand, von dem Sie in Reiseführern lesen.
Aber dieses Mal haben sie den holländischen Schwächling mit seinen Cojones richtig getroffen, und ich werde wissen, wie das echte thailändische Leben manchmal aussieht. Ich kann nicht einmal guten Gewissens gehen.
Ein anderes Enkelkind erhält die Flasche von seiner Mutter, direkt neben dem todkranken Ing, der nichts mehr davon weiß und vor sich hin murmelt und schwärmt.

Der älteste Sohn kommt vorbei, sieht den Farang und hält eine glühende Predigt. Über die Reichen, die in einem klimatisierten Raum zumindest anständig sterben können. Was mein Unbehagen noch verstärkt. Ich frage mich auch im Stillen, warum ich bei Bedarf ein bisschen Thai lernen musste, weil die Traurigkeit und Anklage in seiner Stimme tiefe Furchen in meiner Seele hinterlassen.
Ich denke an meine eigene Wohnung am Ende der Straße, mit Klimaanlage und vielen anderen Annehmlichkeiten.

Meine Gedanken gehen in die Niederlande. Wo ältere Menschen im Vergleich zu Ing. im Luxus baden. Halte es wahrscheinlich für selbstverständlich. Klimaanlage, Kaffee mit einem zweiten Keks, Dusche mit Thermostathahn, automatische Jalousien, Betten mit allen möglichen elektronischen Geräten, Ihr eigenes iPad und WLAN, um mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben.

Plus medizinische Einrichtungen, von denen Ing nur träumen konnte. Und Knöpfe. VIELE Knöpfe. Für Licht, Luft, Feuer und die Nachtschwester.
Nach neunzig Jahren hat Ing nur noch ein wackliges Holzbett, eine juckende Kinderdecke und seine älteste Tochter, die seinen Arm liebevoll streichelt. Der bis zuletzt seine Hand hält, bevor er schließlich zur Großen Reise einsteigt.
Ein von Armut geplagter Mensch, der unter Umständen stirbt, die für mich unvorstellbar hart sind. So sehe ich das.
Erste.

Doch später wurde ihm klar, dass er nicht arm war. Andererseits. Er war reicher als viele ältere Menschen in den Niederlanden. Denn dieser eine Knopf für Liebe und Zuneigung ist der einzige, nach dem sie in ihren letzten Augenblicken oft vergeblich suchen.

Die Einäscherung fand Tage später im Tempel statt, nach vielen Buddha-Zeremonien und dem Gemurmel der Mönche. In meinen Augen eher ein Familientreffen als eine Trauerzeremonie.
Verglichen mit den schwarz umrahmten Kondolenzsitzungen mit Kaffee und Kuchen, die von Salbungsbestattern in den Niederlanden geleitet werden, ist dies ein absoluter Hauch frischer Luft.

Spielende Kinder, Schwärme geflügelter Insekten rund um die Lampe, Gamelan-Musik, aufklappbare Weihnachtslichter rund um ein großes Poster des Verstorbenen, Onkel, die heimlich Tee trinken, und plappernde Tanten, die endlos Essen servieren.
Alles ist da.

Darunter auch zwei hastig rasierte und in Mönchskutten gekleidete Neffen, die für Wohlwollen bei der Familie und ein schönes andächtiges Bild sorgen dürften. Wären da nicht ihre extrem brutalen Köpfe und die daran baumelnde Khrong-Thip-Zigarette.

WELLE

Später durfte ich im engsten Familienkreis vorne Platz nehmen, direkt hinter dem Redner und Zeremonienmeister, und den stark schwitzenden Thai-Tänzern anschließend einen Umschlag überreichen.
Das erregt fast noch mehr Aufmerksamkeit als die wunderschön geschminkten Damen. Wie ich herausfand, zeigte sich dessen Make-up unter der Kupferkaschierung bereits gut sichtbar.

Es wurde auch eine „Welle“ gemacht.
Das überraschte mich, denn ich wusste nicht, dass Schreien, Lachen und reihenweises Aufspringen von Klappstühlen zu einer thailändischen Einäscherung gehören.
Als Ursache stellte sich jedoch eine ungebetene, anderthalb Meter lange grüne Schlange heraus, die sich an den verängstigten Gästen vorbeiarbeitete und wenig später erleichtert und schwanzwedelnd im hohen Gras verschwand.

Man würde fast an eine Reinkarnation glauben.

Eingereicht von Lieven Kattestaart

11 Antworten auf „In Thailand erlebt man alles Mögliche (233)“

  1. Khun muh sagt oben

    Perfekt geschrieben und vermittelt genau die Eindrücke, die man in der thailändischen Landschaft erwarten kann.
    Ich erkenne jeden geschriebenen Satz mühelos.
    die dürren alten Leute, die Bambusstühle, die unser Farang-Gewicht oft nicht tragen können.
    Die Weihnachtsbeleuchtung, die Insekten rund um die Lampe.
    Nochmals: perfekte Wiedergabe und großartig geschrieben.
    Klasse.

  2. Rob V. sagt oben

    Wieder ein schöner Beitrag, lieber Lieven. Und wer weiß, wenn man zu einem älteren Menschen wird, dessen Abschied gekommen ist, können die letzten Tage in Thailand auch für den durchschnittlichen Bauern mit etwas mehr Würde zu einem Abgrund werden … Ich hoffe, dass die Feuerbestattungen ein Fest bleiben.

  3. TheoB sagt oben

    Ich habe diese wunderbar geschriebene Geschichte wieder genossen (tje) Lieven. Fesselnde Geschichten.
    Aber was bedeuten diese drei † im Text?

    • Hat wahrscheinlich nichts mit der Konvertierung des Textes zu tun.

  4. Frank H. Vlasman sagt oben

    Wirklich eine wunderbare Geschichte.!

  5. Marines die Eule sagt oben

    Das Bild der sterbenden Alten, umgeben von himmlischem Luxus, trifft meiner Meinung nach in den Niederlanden nicht immer zu. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist meine Tante, die in den letzten Jahren ans Bett gefesselt und durch die nötigen Medikamente ruhig gehalten wurde.
    Ihr ganzes Leben lang gearbeitet und dann so ein Ende gefunden.

  6. Pieter sagt oben

    EINDRUCKSVOLL!
    Sehr erkennbar!
    Alles Liebe, weiter so!!

  7. Jahris sagt oben

    Schön und schön geschrieben, Glückwunsch!

  8. PEER sagt oben

    Ja, danke Lieven,
    Eine weitere Mischung aus isarnischem Lebensstil und Poesie

  9. Cornelis sagt oben

    Vielen Dank, Lieven, für diese erstaunliche und so unglaublich wiedererkennbare Geschichte!

  10. Rene Pai sagt oben

    Danke, ich habe diese berührende Geschichte genossen, bitte mehr davon


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